Publikation: Hamburger Abendblatt
Datum: 23.04.2013
Jan-Uwe Rogge: Der Mann, dem Eltern vertrauen
Er ist einer der bekanntesten Erziehungsberater Deutschlands. Seit Jahrzehnten liefert er Antworten auf Fragen, die Eltern beschäftigen: Wie beispielsweise mache ich’s richtig in der Pubertät?
Gerade ist seine elfte CD erschienen, sein 33. Buch kommt noch in dieser Woche heraus. Seit Jahrzehnten liefert Jan-Uwe Rogge Antworten auf Fragen, die Eltern beschäftigen: Wie mache ich’s richtig in Trotzalter und Pubertät? Wie setze ich Grenzen? Und wie kommuniziere ich mit meinem Kind? Zu diesen und vielen anderen Themen hat der erfolgreiche Erziehungsberater nicht nur Bücher geschrieben und CDs besprochen. Mit Vorträgen und Seminaren füllt er Säle, die bis zu 1000 Besucher fassen. Auch jetzt ist er wieder “auf Tournee”, wie er sagt. Trotzdem nimmt er sich ein paar Stunden Zeit und empfängt in seinem Reihenhaus in Bargteheide.
“Bitte mehrmals klingeln”, steht auf dem Klingelschild neben der Eingangstür, unter einem Foto des Hausherrn. Wer diese Aufforderung übersieht, kann lange warten. Auch das zweite Läuten bleibt ungehört. Erst, als wir Jan-Uwe Rogge ans Handy bekommen (nach dem zehnten Klingeln, wir wollten gerade wieder auflegen) wird er auf uns aufmerksam und öffnet die Tür. Wir fragen uns, was dahinter steckt: ein erweiterter Erziehungsauftrag oder konzentriertes Arbeiten? Wir nehmen mal Letzteres an, denn wie gesagt: Der Erziehungsexperte ist mittlerweile zwar im Rentenalter, hat sich aber noch lange nicht zur Ruhe gesetzt.
Er hätte auch eine ganz andere Laufbahn einschlagen können, denn nach dem Abitur ging er zunächst als Zeitsoldat zur Handelsmarine. “Ich bin in Stade geboren und hatte daher einen Bezug zum Maritimen”, erzählt er, nachdem er uns ins Haus gebeten hat. Schon als Baby haben ihn seine Eltern zum Segeln mitgenommen. Später hatte er selber ein Boot, einen Piraten, den er aber aus Zeitmangel aufgab. “Ich bin so viel unterwegs – da will ich meine Freizeit zu Hause verbringen”, sagt Rogge. Sein Zuhause ist dieses schmucke Reihenhaus in Bargteheide, mit vielen Antiquitäten behaglich möbliert und einem Arbeitszimmer unterm Dach. Rogge wohnt dort mit seiner Frau Regine, Lehrerin und ebenfalls Familienberaterin. Kennengelernt hat er sie an der Uni. Trotz seiner Affinität zur See hatte er nämlich nach vier Jahren vom Marine-Leben genug. Stattdessen studierte er von 1972 bis 1976 in Tübingen Kulturwissenschaften, Politik, Germanistik und Psychologie.
Nach dem Studium machte er bei einem Forschungsprojekt mit. Thema: “Familienleben und Einfluss der Medien”. Als Beobachter nahm er intensiv am Alltag vieler Familien teil und gewann wertvolle Erkenntnisse über das Miteinander von Eltern und Kindern: Die Weiche zu seinem Beruf als Erziehungswissenschaftler war gestellt.
Regine Rogge brachte den damals zehnjährigen Sebastian mit in die Beziehung, gemeinsame Kinder hat das Paar nicht. Man kann Jan-Uwe Rogge also nicht fragen, wie er sich als Vater kleiner Kinder bewährt hat – sondern nur nach seiner Rolle als Stiefvater. “Ich habe bei Sebastian schnell die Vaterrolle übernommen. Sein Therapeut aber war ich nicht”, sagt Rogge. Statt zu beobachten und zu interpretieren, habe er vieles aus dem Bauch heraus entschieden – und wie jeder Vater auch Fehler gemacht. Er und seine Frau hätten immer versucht, gelassen zu bleiben. “Schlechte Noten wurden nicht gleich nach der Schule thematisiert, sondern später in ruhigen Gesprächen.” Etwa während des gemeinsamen Abendessens, bei den Rogges noch immer ein eineinhalbstündiges Ritual.
Etwas, was den Familienexperten und seinen heute 42-jährigen “Vizesohn” (O-Ton Rogge) noch heute verbindet, ist das gemeinsame Kochen. “Es ist entspannend, auf dem Markt etwas einzukaufen und danach zu kochen”, sagt Rogge. Am Herd experimentiere er gern, um aus langweiligen Zutaten tolle Gerichte zu kreieren. “Blumenkohl, in der Pfanne gebraten mit Olivenöl, Kapern und Zwiebeln, ist eine tolle Beilage zu Bratkartoffeln.”
Weil Kochen eine große Rolle in ihrem Familienleben spielt, urlaubten die Rogges schon immer lieber im Ferienhaus statt im Hotel. Statt Cluburlaub gab’s Action, das zeigen die Schwarz-Weiß-Fotos von Wanderungen und Fahrradtouren, die im Gästebad des Hauses hängen.
Noch heute gibt der Erziehungsexperte Seminare gerne dort, wo er noch ein paar Tage Wanderurlaub dranhängen kann: in Österreich, der Schweiz und Norditalien. Seine Manuskripte schreibt Rogge unterwegs oder im Arbeitszimmer unter dem Dach seines Heims. Immer mit der Hand, mit einem alten Montblanc-Füller. “So merke ich sofort, wenn ich unkonzentriert werde”, sagt er. “Dann wird meine Schrift krakelig.” Was er schreibt, findet auf der ganzen Welt Beachtung: seine Bücher wurden in 23 Sprachen übersetzt. Sogar in der Mongolei ist er bekannt. Dort erschien einer seiner Erziehungsratgeber mit einer Auflage von 500 Exemplaren.
Ob das auch sein neues Buch schafft? Es heißt “Wie Erziehung garantiert misslingt” und erscheint Freitag bei Gräfe und Unzer. Nach Rogges Ansicht ein drängendes Thema. “Alle wollen heutzutage perfekt sein. Dabei führt Perfektionismus automatisch zum Misserfolg.” Er selber sei “auf wunderbare Weise nicht perfekt”, sagt Rogge – selbstbewusst und (fast) bescheiden.