Er wäre schon über seinen sechsjährigen Anton froh, erzählt sein Vater, der “lässt sich die Butter nicht so schnell vom Brot nehmen.” Der könne gut reden, argumentieren, doch manchmal wisse er nicht, wo die Grenze ist, “wann Schluss ist. Zuhause kann ich ihm das schon zeigen, dann akzeptiert er das auch.” Aber in der Schule, da provoziere er, wo er nur könne. “Und auch bei Oma und Opa, da gilt er als frech, der niemanden und keinen respektiert. Der redet die in Grund und Boden.”
“Ist mein Kind frech?”
“Bei meiner Annika, die ist jetzt knapp acht, da ist das fast genauso.” Annika, so berichtet die Mutter, wäre sehr aufgeweckt. “Schon seit dem Kindergarten. Die kriegt alles mit, könne kaum zuhören.” Es wäre manchmal eine ‘richtige Plage’ mit ihr. Annikas Mutter
schüttelt ihren Kopf: “Sie versteht viel, kapiert vieles”, aber sie könne sich nicht zurückhalten, gilt deshalb schnell als altklug und vorwitzig, die “ihren Mund nicht im Zaum halten kann, schlichtweg frech ist.”
Es ist schon eine widersprüchliche Situation mit Kindern: Da möchte man ein selbstbewusstes, ein eigenständiges Kind, das einen eigenen Standpunkt vertritt, das sich behauptet und nicht bei jedem Gegenwind sofort zurückrudert. Da möchte man ein Kind, das
nachfragt und das nachhakt, sich nicht sofort mit dem zufrieden gibt, was einem da an Argumenten seitens der Erwachsenen präsentiert wird, man möchte ein kritisches, ein nachdenkliches Kind, das nicht allein an der Oberfläche bleibt, sondern auf der Suche nach Gründen und Hintergründen ist. Das ist die eine Seite der Medaille.
Doch sind solche Kinder eben auch nicht pflegeleicht. Man bekommt sie nicht zum Nulltarif. Und das ist dann die andere Seite – keine Kehrseite, aber ein Handeln, auf das man eingehen muss. Kinder, die viel und manches “besser” wissen, sind eben nicht “pflegeleicht”. Sie sitzen im Kreis der Familie, im Stuhlkreis des Kindergartens oder im morgendlichen Stuhlkreis im Klassenraum. Und man sieht ihnen an, ja man spürt es förmlich: Gleich ist ihre Geduld am Ende, sie hören nicht mehr zu, platzen mit ihren – durchaus klugen und wichtigen – Kommentaren und Anmerkungen dazwischen, bringen anderen Kindern keinen Respekt
entgegen. Sie hören nicht zu, gehen auf keine Argumente ein, sehen nur sich und ihren Standpunkt. Sie reden selbst dann, wenn sie nicht gefragt werden. Solche Kinder stellen aus er Sicht von anderen Heranwachsenden, aber auch von Erwachsenen eine Herausforderung dar. Und zugleich faszinieren sie – weniger die Eltern als die Gleichaltrigen.
Finden brave Kinder, Rabauken cool?
Er finde den achtjährigen Paul toll, meint sein Freund Michael. Der ist ein introvertierter Junge, schüchtern, zurückgenommen, der aber auch viel weiß, sein Wissen jedoch nicht preisgibt, es vielmehr für sich behält. Wenn Paul mal wieder aufbegehrt, seine
Meinung lautstark verkündet, sich an keine Regeln und Abmachungen hält, wenn er wortgewaltig die Auseinandersetzung sucht, dann findet Michael den Paul toll. Er würde gerne wie sein Freund sein. “Aber ich kann das nicht. Ich hab Angst.”
So wie Michael geht es vielen Kindern. Angepasste, “brave” Kinder finden die frechen Rabauken toll. Sie werden bewundert, weil sie sich an Grenzen reiben, sie überschreiten, nicht davor stehen bleiben, eben manches in Frage stellen. Das (noch) vorsichtige Kind beobachtet das, überprüft das eigene Verhalten, fantasiert, wann es wohl den Mut findet, es den “Frechen”, “Unangepassten” gleich zu tun. Viele Eltern machen ja diesbezüglich eine interessante Erfahrung: Das schüchterne Kind bewundert in Kindergarten und Grundschule das aufmüpfige, das diskussionsfreudige Kind. Es ahmt sein Verhalten nicht sofort nach, es schaut, es bewertet, es spielt in Gedanken Handlungsalternativen durch. Und wenn es dann soweit ist – manchmal nach Wochen, manchmal nach Monaten oder nach Jahren –, wenn es sich dann mal traut, dann hat das “freche” Kind dem “braven” Kind einen Weg gewiesen zu mehr Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein. Manchen Eltern mag dieser letzte Gedanke nicht ganz geheuer erscheinen. Doch haben Freunde eine wichtige Bedeutung für die Bewältigung des Alltags. Kinder finden meist mit einer unnachahmlichen Treffsicherheit die passenden Freunde. Nur sind es dann meistens Freunde, die den Eltern nicht passen. Und je mehr sie die Freunde verdammen und verurteilen, umso wichtiger und bedeutsamer werden sie für das Kind. Apropos Eltern: Sie müssen den Kindern ein kommunikatives Miteinander vorleben. Und dies meint: Zuhören und Verstehen. Denn auch das darf man nicht vergessen: Auch Eltern können “frech” sein, weil sie ihren Kindern keine Aufmerksamkeit schenken, und sie
ihren Kindern nicht zuhören, weil sie ihnen ungefragt Ratschläge geben, obgleich diese keine wollen. Eltern sind ein Vorbild, an dem sich Kinder orientieren.
Passendes Buch zum Thema: Das neue Kinder brauchen Grenzen, Eltern setzen Grenzen oder den Vortrag als DVD: Kinder wollen Grenzen
Ja, diesen Typ Kind gibt’s immer häufiger. Selbstbewusstes Fragen und „Meinung-Sagen“ ist schon wichtig ggü früherem „Brav und Still-sein“. Die Grenze zum respektlosen, sogar störende Verhalten, das andere dann nachahmen, ist jedoch schnell überschritten. Da überwiegt daheim oft der antiautoritäre Erziehungsstil – Paul, magst du jetzt mal deine Zähnchen putzen? Magst du jetzt mal aufstehen? Oh, ich kann meinen Zuhörer am Tel nicht verstehen, mein Kind protestiert grade ( TV-Parodien ohne Ende).
Einfach öfter mal STOP sagen, (Ich spreche grade) u NICHT sofort auf alles eingehen. Danach dann zuhören und entscheiden, ob das Kind (wiedermal) seinen Willen kriegt oder diesmal nicht. Wenn das (schon) im KiTa-Alter versäumt wird, entwickelt sich diese aufmüpfige Art prächtig in der Schule weiter).
Im richtigen Leben später gibt’s ja auch keinen Dauer-Ponyhof.
Es klingt ähnlich nach einem unserer Söhne, nur bekommt unser Sohn keine Beliebtheit dadurch sondern gilt selbst bei seinen Mitschülern als nervig und störend.