Geschwister – so soll Kurt Tucholsky einmal gesagt haben – sind wie Indianer, entweder rauchen sie die Friedenspfeife oder sie befinden sich auf dem Kriegspfad. Das Thema beschäftigt mich schon viele Jahre, habe dazu manches schon geschrieben. Ich habe das Buch mit Alu Kitzerow und Konstantin Manthey Bloggerin und Blogger aus Berlin geschrieben, Eltern von drei Kindern. Sie beschäftigt das Thema ebenfalls seit vielen Jahren. So ist ein neues Buch entstanden, in dem deren aktuelle Erfahrungen mit ihren Kindern und meine aus mehr als 35 Jahren Beratungspraxis eingeflossen ist. Ein wunderbares Lesebuch mit vielen Geschichten und noch mehr Tipps. Ich hatte es eben angedeutet, hier ein kleiner Rückblick in das Jahr 2000:
“Ist mein Kind eifersüchtig?”
Philip, 5 Jahre, kommt zur Mutter gerannt, die im Garten arbeitet: “Sind Dennis und Josef immer größer als ich?”, will er wissen. Die Mutter lächelt ihn an: “Die sind nun mal älter, Philip! Dennis ist 15 und Josef 12 Jahre. Das weißt du doch!” Philip sieht nachdenklich und ein wenig verzweifelt aus: “Wirklich? Sind die immer größer als ich?” Die Mutter nimmt Philip in den Arm: “So ist das, mein Kleiner!” Das macht ihn wütend: “Aber ich will nicht immer dein Kleiner sein. Ich will auch mal der Größte sein!” Säuerlich stapft er von dannen, kommt nach einiger Zeit zufrieden lächeln zurück: “Ich bin auch mal der Größte”, sagt er selbstbewusst. Kurze Pause. “Wenn Josef und Dennis tot sind.” Die Mutter ist sprachlos und irritiert. Als sie Philip streicheln will, weist er das schroff zurück. Dann findet sie ihre Worte wieder: “Aber Philip, das dauert noch sehr lange.” Er schüttelt trotzig seinen Wuschelkopf: “Nein!”, ruft er. “Ich gehe jetzt zu denen und bring die um!”
Als die Mutter diese Situation auf einem Familienseminar vorstellt, wirkt sie immer noch geschockt: “Woher hat er diese Phantasien? Woher nur?” Sie denkt nach: “Aus dem Fernsehen bestimmt nicht! So etwas sehen wir nicht! Vielleicht von den Märchen?” – “Der ist einfach eifersüchtig”, wirft eine andere Mutter ein. Das könne nicht sein, erwidert Philips Mutter. Sie versuche, allen Kindern gerecht zu werden und ihre Liebe gleichmäßig zu verteilen.
Kinder lernen voneinander
Eltern lieben alle Kinder gleichermaßen, aber sie verhalten sich ungleich. Und das ist manchmal lebensnotwendig: So braucht das Neugeborene eine intensivere Begleitung als das ältere Kinder im Trotzalter. So benötigt das Kind, das gerade in den Kindergarten kommt, andere Formen von Nähe als die Schwester, die die Einrichtung schon seit Jahren besucht. Gerade die Verschiedenheit der Situationen macht verschiedenes Handeln notwendig. Das wirkt aus der Sicht eines betroffenen Kindes nicht unbedingt gerecht. Klagen und Quengeln sind die Folge. Aber bedenken Sie: Sollten Sie es schaffen, es allen Kindern gerecht zu machen, bleibt eine Person übrig, der sie nicht gerecht werden – sich selber!
Kinder lernen voneinander – eben nicht allein Hilfsbereitschaft, Fürsorge, Solidarität und Trost, sie lernen auch, sich auseinander zu setzen, sich voneinander abzugrenzen, zu fluchen, zu hassen. “Aber muss denn der Streit immer so laut sein? Müssen sie sich denn immer in den Haaren liegen?”, fragt Isolde Kramer, Mutter des 5-jährigen Nico und des 3-jährigen Robert. “Das ist doch nicht normal!” – “Überlegen Sie sich einmal”, antworte ich. “Die streiten sich nicht mehr. Da herrscht kommunikative Ruhe zwischen den beiden. Sie kommen in das Zimmer, beide sitzen am Tisch, und Nico sagt zu Robert: ‘Robert, ich finde es nicht gut, dass du mir in den Finger beißt. Das tut weh, und man kann sich dadurch vergiften.’ Und Robert antwortet: ‘Nico, das tut mir Leid. Ich denke, ich werde mich künftig beherrschen. Ich werde autogenes Training machen oder einen Kurs besuchen: Wie streite ich richtig mit meinem Bruder! Ich finde es aber toll, dass wir nun endlich darüber geredet haben. Das sollten wir öfters machen.'” Ich sehe die Mutter an: “Was würden Sie dann tun?” – “Sofort in Ohnmacht fallen!”
Kinder wollen sich abgrenzen
Kinder wollen sich voneinander abgrenzen. Ihr Alter, Geschlecht und Temperament unterscheiden sie. Konflikte sind vorprogrammiert. Man hat lange Zeit über die Bedeutung der Geschwisterposition für das Leben eines Kindes nachgedacht. So prägend sie auch sein mag, letztlich scheint doch der psychosoziale Rahmen bedeutsamer, in dem Geschwister aufwachsen: Trennungs- und Scheidungserfahrungen, Krankheit oder Tod in der Familie, Umzug, Beziehung der Eltern, die Bedeutung der Großeltern. Nicht zu vergessen sind die Eigenschaften, die Kinder schon mit auf die Welt bringen – sie sind beschriebene Blätter, aber welches Buch daraus wird, das bestimmen sie doch selber. Eltern weisen Kindern bestimmte Rollen zu. Umgekehrt bemerken die Kinder, welche Anteile sie in einer Familie besetzen können, um nicht unterzugehen. Kinder entdecken jene Seiten des Familienskriptes, die noch nicht verfasst sind. Oder sie füllen die bis dahin leeren Kapitel.
Das Buch Geschwister – eine ganz besondere Liebe ist ein Werkzeugkasten, es stellt die Werkzeuge bereit, um Geschwisterkinder ins Leben zu begleiten, aber anwenden müssen Eltern die Werkzeuge auf ihre Art und Weise.
Es erscheint am 02.09. im Buchhandel und ist im Rogge-Shop signiert vorbestelltbar.
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