Eltern wollen selbstbewusste Kinder, die sich behaupten können und nicht in der Masse aufgehen. Kinder, die einzigartige Persönlichkeiten sind: Nur sind Eltern zugleich irritiert darüber, dass sich kindliches Selbstbewusstsein gegen die Eltern selber richten kann, wenn Kinder sich verweigern und den elterlichen Wünschen ein lautstarkes “Nein!” entgegenschleudern. Wer Kinder zu Eigenständigkeit erzieht, der produziert nun mal Konflikte; wer Heranwachsende will, die sich behaupten können, der muss das “Nein!” aushalten, selbst dann, wenn es sich gegen die eigene Person richtet.
Damit ist freilich elterliche Erziehungsverantwortung nicht außer Kraft, sie ist nun notwendiger denn je. So sehr sich Eltern wünschen, eine autonome Persönlichkeit ins Leben zu begleiten, manchmal sehnen sie sich dann doch nach mehr Nachgiebigkeit des Kindes und Verständnis für den elterlichen Standpunkt.
Kinder haben da natürlich eine völlig andere Sichtweise: Sie behaupten, das heißt “Ja” zu sich sagen. Dies geht nicht selten einher mit einem “Nein” dem anderen gegenüber. Wer sich behauptet, der vertritt eine Position, der streitet sich – mal heftiger, mal weniger. Kinder streiten sich gerne, dies vor allem dann, wenn Eltern Harmonie und Nachgiebigkeit an die oberste Stelle setzen. Streitlust meint, sich der Macht, der Gewalt der Sprache bewusst zu werden. Manches “Nein” ist nicht schroffe Ablehnung, eher vergleichbar mit dem Stein, den man ins Wasser wirft, um zu sehen, welch’ Wellen dabei entstehen.
Doch hat das “Nein” des Kindes noch weitere Bedeutungen:
Das Kind ist in ein Spiel vertieft, wird durch eine elterliche Forderung herausgerissen,etwas anderes unverzüglich zu machen. Dann drückt dieses “Nein” Frustration aus.Das Kind ist sauer, fühlt sich unverstanden, zeigt den Erwachsenen: “Bereitet mich auf so eine Situation vor, sodass ich mich umstellen kann.” Das “Nein” kann aber anzeigen: Ich mach’ es ja gleich! Aber nicht sofort! Erlebt man doch häufig eine paradoxe Situation: Erst kommt ein barsches, aufmüpfiges “Nein” , nach ein paar Minuten kommt es der Aufforderung wie selbstverständlich nach.
Wer Kinder zur Mitsprache auffordert, zur Mit-Bestimmung, der fordert eben Bestimmer und das bringt Interessenskonflikte mit sich.
Zweifellos testet ein Kind aus , überprüft, was passiert, wenn man sich auflehne, dem Vater oder der Mutter ein “Nein” entgegenschleudere. Ein “Nein!” fordert auch die Erwachsenen heraus. Nicht selten kommen sie in solchen Situationen ins Schwimmen, suchen verzweifelt nach einer angemessenen, nach “der richtigen” Reaktion. Kinder laben sich daran, an den verunsicherten Reaktionen der “Großen”, an den hektischen Gesichtszügen, die ihnen langsam entgleiten. Dabei gilt es, selbst wenn es schwerfällt, den Humor zu bewahren, auf das anarchische “Nein” des Kindes die Anarchie der Spontaneität folgen zu lassen. Als ihr neunjähriger Sohn auf ihre Bitte, doch den Tisch abzuräumen, mit einem “Nein! Habe keine Lust!” antwortete, so erzählt die Mutter, habe sie gesagt: “Dann räumst du heute ohne Lust ab!” Der Sohn habe verblüfft geschaut und seine Aufgabe erfüllt.
Alle Situationen zeigen: Es ist zu oberflächlich, das “Nein!” des Kindes auf kratzbürstigen Widerstand zu reduzieren. Sein “Nein!” zeigt: “Ich traue mir zu, ‘Nein zu sagen!’, hilft ihnen “Nein” im späteren Leben doch – ganz unter der Maxime: “Ich sage ‘Ja’ zu mir, deshalb kann ich anderen ein ‘Nein’ zumuten. Ich mache eben nicht alles mit!” Mit dem “Nein” artikuliert das Kind im Hier und Heute und später seine Grenzen: das “Nein” schützt davor, sich der Gefahr von Süchten auszusetzen, es schützt vor sexuellem und körperlichen Missbrauch: “Ich entscheide, wer mich anfasst.” Das “Nein” zeigt “Stopp!”, respektiere mich und meinen Körper!” Sophia Loren, diese wunderbare Schauspielerin, hat das auf eine ebenso hintersinnige wie witzige Weise so ausgedrückt: “Ich kann in zwölf Sprachen ‘Nein’ sagen, das ist unerlässlich für eine Frau, die weit herumkommt.”